Eine prägende Strecke meines Lebens waren die acht turbulenten Jahre, die ich mit den Machern des ROCKPALASTES erleben durfte. An erste Stelle stehen die beiden Rock'n'Roller im Schafspelz, die den Rockpalast realisiert haben: Christian Wagner hatte die Idee, Rockkonzerte 1:1 live im TV zu zeigen und Peter Rüchelist die ausgekochte Rockerseele die sich in die Haut eines WDR Redakteurs geflüchtet hatte. Gleich danach wäre das loyale Team zu nennen und natürlich die vielen, vielen Rock-Musiker, deren Lebensgefühl ich miterleben durfte. Viele dieser Musiker sind heute Geschichte, die Popmusik hat sich weiterentwickelt wie es dem Charakter der populären Musik entspricht. Man könnte sagen altes Zeug, wäre da nicht enorme Wirkung, die diese Konzerte auf die TV-Zuschauer gehabt haben, sodass vielen Zuschauern die Sendungen heute noch gegenwärtig sind.
1976-1983 waren die verrückten Jahre, in denen ich den WDR-ROCKPALAST moderiert habe, zusammen mit Alan Bangs. Das war noch im letzten Jahrhundert, die Jüngeren würden sagen noch in der Steinzeit. Aber für viele Rockmusikfans sind die durchzechten Nächte vor dem Fernseher und zwischen den Stereoboxen immer noch gegenwärtig. Die Rocknächte sind eine bleibende Erinnerung und gehören für die Fans der Rockmusik zur Habenseite ihres Lebens. Als Moderatoren hatten Alan Bangs und ich einen „Backstage- All-Areas“ Pass und so hatten wir das Privileg 14 Rocknächte und zwei Festivals auf der Loreley aus nächster Nähe mitzuerleben.
Für die Freunde der Ranking Files hier meine zwölf stärksten Eindrücke aus diesen acht Jahren Rock'n'Roll pur. 1. Die erste Ansage24.Juli 1977, die Grugahalle ist rappelvoll. Am klarsten ist mir in Erinnerung, die Wucht mit der mir die Energie des Publikums entgegenschlug, als ich ans Mikrophon getreten bin. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Schlagartig wusste ich, dass man als Musiker nach dieser Energie süchtig wird und diesen gnadenlosen Kick immer wieder erleben will. Ich war nur der Ansager…. was würde erst passieren, wenn die Verstärker auf der Bühne auf diese Energie um ein vielfaches lauter beantworten würden Wir haben es erlebt. Alle Gruppen, die in den Rocknächten auf-getreten sind, waren davon beeindruckt vom Drama dieses Live-Erlebnisses:Das Wort zum Sonntag - Ansage WDR - Eurovisionsfanfare - die Halle singt mit - Wir sind auf Sendung - Ansage Bühne: „Tschörmen Telewischen proudly presents: Live, as our Guests in Rockpalace: Rory Gallagher!” 2. Christian Wagner, Regisseur„Zwei oder drei Dinge die ich von ihm weiß.“ hätte François Truffaut seinen Film genannt.Sehr viel mehr weiß ich vom Regisseur und Erfinder des Rockpalastes auch nicht, obwohl wir wäh- rend der Produktionen der Sendungen lange Tage und noch längere Nächte miteinander verbracht haben. Nachts verdrückten wir oft als letzte Kunden im McDonalds unsere Hamburger. Damals trug er gern Cowboystiefel aus Schlangenleder, sprach nicht viel und hätte der verschlossene Rhythmusgitarrist einer Südstaatenband sein können - sagen wir Greg Allman. Aber sein Instrument war nicht die Stratocaster oder die Les Paul, sondern TV-Kameras, das Mischpult im Ü-Wagen und die Intuition seiner kongenialen Cutterin Brigitte Mann. Verbandelt durch den Herzschlag der Musik hatten beide genügend Leidenschaft, um die Emotionen der Rockmusik für den Zuschauer sichtbar zu machen. Nach der Aufzeichnung eines Konzerts war Christian meist der letzte, der aus dem Studio ging. In seiner alten Henkeltasche steckten die Papiere, auf denen er Tage zuvor präzise die Struktur jedes Songs aufgezeichnet hatte. Ob er sie während der Aufzeichnung gebraucht hat weiß ich nicht. Morgens und abends hat er mich in seinem kleinen Auto mitgenommen. Wir schwiegen beide, aber da mir schon damals mein Herz auf der Zunge lag, habe ich auch viel geredet und erzählt. Er hat zugehört und seine Zigarette geraucht. Ebenso hätten wir auch als Cowboys durchs hohe Gras reiten können, unterwegs zum Zäuneflicken und zum Kälber brennen. 3. Peter Rüchel, Redakteur, Seele und Geist des RockpalastesWenn einer eine Ahnung hat, wo der Blues sein Herz begraben hat, dann ist es Peter Rüchel. Er weiß alles über die Bands, über die Musiker und ihre Musik, über Licht und Schatten des Business, über den Himmel und die Hölle dieser Passion die sich Rock'n'Roll nennt. 30 Jahre leitete er als Redakteur die Geschicke des Rockpalastes und bedingungslose Loyalität war eine seiner Qualitäten Mit dem Herz eines Löwen und der Leidenschaft des bekennenden Liebhabers kämpfte er für seine Leute und für das Live- Erlebnis Rockmusik im Fernsehen. Wie jeder gute Impresario nahm er diese Mühen auf sich, um sich seinen Traum zu erfüllen, die Musiker zu sich nach Hause, in seinen Rockpalast einzuladen. Peter war der hingebungsvollste und zärtlichste Fan der Konzerte, die er selbst veranstaltet hat. So muss es sein.4. Tom Petty, Musiker - Autor der Zeile: „And the Sky was the limit!“Juni 1977. Mit Tom Petty verbindet sich die Impression eines glühend heißen Nachmittags in Köln. Das winzige Studio L versteckte sich mitten in der Altstadt, in der engen Annenstrasse, die vom Ü-Wagen des WDR zugestellt war. Ich kam gerade aus Berlin, war völlig verschwitzt und wollte so schnell wie möglich in den Schatten kommen. Die Tür des Ü-Wagens stand offen, ich stieg das Eisentreppchen hoch und blieb verblüfft an der Tür stehen. Der Ü-Wagen war leer, - bis auf einen jungen Mann mit langen blonden Haaren, der sich über das Mischpult gebeugt hatte und versunken dem Sound einer Band lauschte, die sehr laut durch die Lautsprecher zu hören war. Ab und zu drehte er an einem Knopf, schob einen Regler und hörte konzentriert zu Plötzlich drückte er einen Knopf, es knackte und der junge Mann mit dem schmalen Gesicht nuschelte im breitesten Süd- staatenslang: „o.k.…now give me Breakdown!“ Die Musik brach ab, Stimmengewirr, es wurde wieder ruhig, eine Stimme zählte ein: One….two…three… und der glasklare Sound von „Breakdown“ stand im Ü-Wagen.5. Die Ruhe nach dem Sturm.Die Rocknächte hatten viele magische Momente. Einer davon wiederholte sich jedes Mal. Die Eurovisionsfanfare war verklungen, draußen brach ein neuer Tag an. Mit einem Schlag waren für die Kameraleute drei Tage der Anstrengung, der Hingabe und der Konzentration auf eine rauschende Nacht vorbei. Nun blieb nur noch ein Wunsch: vollkommene Ruhe. In dem kleinen kahlen Raum im Backstagebereich der Grugahalle gesellte sich einer nach dem anderen zu seinen Kollegen. Irgendwann saßen 12 geschaffte Männer auf den Stühlen oder auf dem Boden, schwiegen und schauten ins Leere. Im Raum stand immer noch das Nachglimmen der Power von zigtausend Watt die sie sechs Stunden lang umbrandet hatte. In diesem kostbaren und seltenen Augenblick fühlten sich alle miteinander verbunden. Ein Team erholte sich von einer gemeinsamen Herkulesarbeit. Jeder wusste, dass er ein außergewöhnliches Ereignis mitgestaltet hatte. Ich hatte diesen kostbaren Augenblick schon früh entdeckt und es war mir jedes Mal eine Ehre, schweigend mitten unter den Kollegen zu sitzen und nach sechs Stunden Adrenalin, Schweiß, Rhythmus und Soundgewitter der surrenden Stille nachzulauschen.6 Alan Bangs, ModeratorEr ist der offenste Musikhörer den es gibt. Zugleich ist er kompromisslos. Er liebt gute Musik und hat das seltene Talent, das Publikum an seiner Liebe teilhaben zu lassen. Ich mag Alan und habe sein Wissen und seine Liebenswürdigkeit immer geschätzt. Manche sahen einen Dissens zwischen uns beiden so verschiedenen Moderatoren... das ist eine Legende. Fakt ist, dass wir gute Kollegen waren. Ich hatte meine Stärken im Studio, er war bei Live-Sendungen in seinem Element. Mein Englisch war nicht so gut wie seins, dafür war mein Schwäbisch um Klassen besser.7. Mitch Ryder, Tapfer sein im Rausch!Seit Mitch Ryder weiß ich, dass ein volltrunkener Cowboy immer sein Pferd findet... und ein echter Rock'n'Roller immer sein Mikrophon. Egal unter welchen Umständen. Mirch Ryder stand neben mir in der Gasse und wartete auf seinen Auftritt. Der Mann schwankte wie ein Rohr im Wind. Peter Rüchel hatte am Abend zuvor die Unvorsichtigkeit begangen, dem Altrocker die Aufzeichnung des Patti Smith Konzerts zu zeigen; ein Konzert das in der Rocknacht zuvor für einen Skandal gesorgt hatte. Mitch war nun angetreten, Patti Smith zu toppen. Selig grinsend sah er mich mit Augen an, die in Whiskey schwammen und mir fiel das Herz in die Hose. Draußen warteten 6000 begierige Fans, die von Nils Lofgren angeheizt worden waren. Niemals würde Mitch in diesem Zustand singen, geschweige denn ein ganzes Konzert bestreiten können. Als es soweit war ging ich ans Mikro und sagte ihn an, wohl wissend, dass gleich eine Katastrophe passieren würde. Mitch hörte den Beifall der Menge, fixierte das Mikro in der Mitte der Bühne, startete aus der Gasse und marschierte los. Er sang das Konzert seines Lebens.Seine junge Band spielte wie der Teufel, es ging um alles. Als der Exorzismus vorüber war, sassen alle in der Garderobe. Der Pianist weinte und der Gitarrist übergab sich. 8. Frühstück mit Dusty HillZu den würzenden Zutaten einer Rocknacht gehörte, dass alle Bands für 4 Tage in einem Hotel etwas außerhalb von Essen einquartiert waren. Im Bredeney wohnten die Musiker, die Crews der Bands und wir Leute vom TV zusammen unter einem Dach. Man sah sich in der Halle und im Aufzug, lernte sich kennen und kam ins Gespräch. Heute ein unbezahlbarer Luxus... So bekam auch jede Gruppe ihren ausführlichen Soundcheck, was bei den Crews für gute Laune sorgte. Noch bessere Stimmung machte auch das große Frühstück im Hotel bei dem sich fast alle Beteiligten über den Weg liefen.So gesellte sich auch Dusty Hill, Bassist von ZZ Top, an unseren Tisch und ich kann nun bestätigen, dass nicht nur der Bart echt ist, sondern dass die Herren aus Texas die freundlichsten und zuvorkommendsten Gentlemen sind die unter den Kakteen zu finden sind. Dusty Hill war ausgesprochen guter Laune, denn er war stolz auf seine neuen Schuhe aus feinstem Leder, die er tags zuvor in Mailand entdeckt hatte. ZZ Top musste auf ihren Auftritt in der 6. Rocknacht lange warten. Es war 4 Uhr morgens als sie ihre texanischen Stiere auf die Bühne ließen. 9. Pete TownshendMit diesem Line-up versprach diese Nacht zu einem Ereignis zu werden.: The Who, drei Tage zuvor aus England angereist, treffen auf die legendären Greatful Dead, die kosmischen Kuriere des anderen Amerika. Die Deads sind das Sprachrohr der West-Coast Musik, sie sind die Propheten einer neuen Lebensweise. Der Abend sollte ein magische Reise werden, ein Trip der aus der Grugahalle übertragen wurde und in den ganz Europa einstieg. Selbst unsere Brüder & Schwestern hinter dem großen Zaun kamen ins Schwingen. Dig it, Baby! Dig it!Meine bleibende Erinnerung an diese Nacht: Nach dem fulminanten Konzert der WHO stand Pete Townshend auf der Seite der Bühne und folgte dem Auftritt von Jerry Garcia und den übrigen Deadheads. Pete Townshend war tierisch nervös, offenbar durchschossen Adrenalin und andere Substanzen seine Systeme. Er hatte die Gitarre umgeschnallt und tigerte wie ein Puma vor der Fütterung hinter der Bühne hin und her. Offenbar wartete er auf den erlösenden Moment, in dem er von Jerry Garcia auf die Bühne geholt wurde. Als es endlich soweit war, stürmte er auf die Bühne, stöpselte ein und erspielte sich seinen Platz im Kosmos der Greatful Dead. 10. Muddy WatersEines der merkwürdigsten Fotos das ich aus meiner Zeit beim Rockpalast aufbewahrt habe, wurde in der Garderobe der Dortmunder Westfahlenhalle von Ulli Weiss geschossen. Es war kurz vor Weihnachten 1978, zwei Generationen von Bluesmusikern hatten sich angesagt: Taj Mahal und Muddy Waters. Taj Mahal trat zuerst auf. Er war alleine und hatte nur seine Dobro dabei. Die letzte Nummer widmete er seinem großen Vorbild Muddy Waters. Dann spielte er „Sweet Home Chicago!“Als Muddy Waters auf die Bühne kam, wurde er mit einer Ovation begrüßt. Dass sein Konzert eine Offenbarung war brauche ich nicht zu betonen. Die Abgebrühtheit dieses in der Wolle gefärbten Blues-Veteranen konnte ich von der Seite der Bühne aus beobachten. Ab und zu und ganz zufällig sah er auf seine goldene Armbanduhr. Danach, in der Garderobe entstand dieses merkwürdige Foto. Ich kucke hinter Muddy Waters hervor und bin fast durchsichtig; wie ein Geist. 11. Mein Abschied.Das war der Nachmittag an dem mir Peter Rüchel auf dem kahlen Flur des WDR-Gebäudes entgegenkam. Er ging im Gegenlicht und ich erkannte ihn an seiner Silhouette. Vor seiner Bürotür gaben wir uns die Hand. Ich sagte: „Das ist jetzt eine Begegnung der dritten Art!“. Er antwortete: „Das kannst du laut sagen! Na, dann komm mal rein!“Ich blieb bei meinem Entschluss, mein Gastspiel beim Rockpalast nach acht Jahren Himmel und Hölle zu beenden.
Unerwähnt bleiben lange Gespräche mit Loudon Waiwright III, Tom Waits Solo, Biertrinken mit Cheap Trick, Lindor-Schokolade für Mink de Ville, Handshake mit Van Morrison, ein geschaffter Ray Davis, Elvis Costello im Monolog, ein blinder Johnny Winter, Patti Smith auf dem Weg zur Bühne, 15 Minuten schweigend neben Kevin Rowland, ein rappender Peter Wolf, Stewart Copeland verbindet seine blutenden Hände mit Gaffa, ein Buzzcocks-Konzert in der Hamburger Markthalle, bei dem wir die schweren Kameras in Sicheheit bringen mussten und zum Schluss meine Lieblingszeile aus dem Morrison Song „Into the Mystic“ die da lautet: „I am gonna rock your gipsy soul!” So sei es denn.
Konzerte die bis heute halten:
1. Van Morrison 2. ZZ TOP 3. The Kinks 4. Tom Petty 5. Tom Waits 6. Little Feat 7. Ted Nugend 8. Mink de Ville 9. Buzzcocks 10. Einstürzende Neubauten 11. The Who 12. Ton Steine Scherben
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