Aus ihrem Buch „Kreuzberg Keine Atempause“, berlin edition
„Dschörmen Televischen proudly prisents….“
Vier Worte, eine Art Englisch mit eindeutig deutschem Akzent und mit schwäbischem Understatement am Bühnenrand vor einer tosenden Menge vorgetragen, machten Albrecht Metzger als Moderator des WDR-Rockpalastes zur Legende. Heute sind seine Ansagen Kult, abrufbar im Internet. Acht Jahre lang jettete er von Kreuzberg nach Köln, um Größen wie Little Feat, Van Morrison, the Who, Greateful Dead oder Tom Waits vorzustellen, „ und jedes Mal bin ich fast gestorben vor Angst“ erzählt Metzger. Er litt unter seinem ungenügenden Englisch und der Häme darüber in der Rockmusik- branche. Qualitäten eines Entertainers, der die Meute mit einem Schuss Exibitionismus vor dem Hauptact anheizt, hatte er wirklich nicht. Heute schätzt er diese Erfahrung so ein:
„ Seit 20 Jahren arbeite ich nun in der Comedy-Branche. Die Rocknächte begannen vor dreißig Jahren. Hätte ich damals schon kapiert, dass ich ein Komiker bin, hätte ich diese Zeit beim Rockpalast besser genießen können.“
Dafür fanden die Musiker in Metzger jemand, der mit ihnen an der Hotelbar abhing, ohne sie mit Autogrammwünschen zu belästigen. Im Leben der Rock’n’Roll Stars, angefüllt mit Zumutungen und Belästigungen. Ein Journalist, der sein Objekt nicht ausfragte, sondern auch mal was von sich und seiner Welt erzählte.
Albrecht Metzger und der Rockpalast hatten sich zwangsläufig aufeinander zu bewegt. Anfang der 70ger Jahre entdeckte das Fernsehen die Jugend. Die Jugend rebellierte, das Fernsehen reagierte. Werner Schretzmeier vom Südfunk Stuttgart sprach Metzger an, der damals noch Aktivist im Stuttgarter Jugendkabarett „Die Kabaratten“ des Jugendhauses Ost und deshalb offenbar ein authentischer Vertreter der Jugendszene war. „Ich mach Jugendprogramm im TV. Hast du Lust mitzumachen?“ Da saßen sie dann, Metzger und drei junge Mitstreiter in einem leeren Büro mit einem Telefon und kreierten als erstes eine Sendung, die zu Hausbesetzungen aufrief. Metzger, im Fernsehgeschäft völlig unbedarft, wurde TV-Journalist, lernte drehen, schneiden und moderieren, oft live aus Jugendzentren. Das fiel dem WDR auf, der seine eigene Jugendsen- dung, eine Rockshow, plante. Metzger wurde für den „Rockpalast“ engagiert, der Anfangs eine regelmäßige Studiosendung war. Doch als ein Boxkampf mit Muhamed Ali ausfiel, wurde der Rockpalast zum Live-Event vor Publikum und 25 Millionen Zuschauern und Metzger musste in den Ring. Nach 8 Jahren stieg er aus, rechtzeitig vor dem Niedergang des Live-Musik-TVs.
In Metzgers Kreuzberger Wohnung erinnert kaum etwas an den „Rockpalast“, es sei denn seine mehr als 8000 Vinyls. Vom Boden bis zur Decke, dicht an dicht schmiegen sich die Klassiker der letzten fünfzig Jahre aneinander, alles Scheiben, die in Metzgers Kategorie „guter Song“ passen. Metzger sammelt Musik durch alle Genre, von Dylan bis Costello, von Jazz bis zum Hip Hop der alten Schule.
In seiner Jugend in Stuttgart war Metzger mit Jazz und Bebop sozialisiert worden, aber mit den ersten Reisen nach West-Berlin erweiterte sich sein Musikgeschmack rasant. Konzerte mit den Doors, mit Janis Joplins, Hendrix und Zappa, mit Muddy Waters und den Rolling Stones, um nur einige zu nennen, waren sensationelle Erlebnisse.
„Rock war ja schon immer ein Lebensmittel“, erklärt Metzger, „als Erweiterung kiffte man dazu. Erst später habe ich entdeckt, dass man Captain Beefheart auch ohne Kiffen hören kann!“
Inzwischen ist Metzger 62. Barfuss und entspannt sitzt er in seinem Arbeitszimmer, umgeben von Tonträgern, Videos, Notizzetteln, Konzepten und Krims Krams und lässt vergangene Zeiten wieder auferstehen. Schon Anfang der 60ger zog es den erlebnishungrigen Beatnik an den Wochenenden aus dem schwäbischen Mustopf nach Westberlin. Freunde lebten dort in einer Ladenwohnung, umgeben von Katzenpisse, Braunkohlesmog, Fahrrädern an der Decke; doch kulturell war man eben drei Jahre voraus. Die Winter waren kalt, bitterkalt wie in Russland, doch Philip Glass, das Living Theatre oder Jimi Hendrix waren Entschädigung genug. Über einen Dokumentarfilm mit Schülern der berüchtigten Rütlischule, an der seine Frau bis heute unterrichtet, lernte er seine Lebensge- fährtin kennen und zog endgültig nach Berlin, in eine Kreuzberger Dreizimmerwohnung. Was heute idyllisch wirkt, gepflegte Häuserreihen am Kanal unweit vom Schlesischen Tor, war vor dreißig Jahren ein finsteres Pflaster. „Da stand viel leer, Rollläden waren runter, die Fenster der besetzten Häuser in der Cuvrystrasse waren noch zugemauert, das Leben ist hier erst viel später eingekehrt.“ Für Metzger, der als erste Stuttgarter Wohngemeinschaft die „Kommune Hotzenplotz“ gegründet hat, waren ausgehängte Türen, freie Liebe und gemeinsame Kasse alte Hüte. Diese WG war übrigens 1967 der Namensgeber für die deutschsprachige Politrock-Band „Hotzenplotz“, die fünf Jahre lang in der damaligen Politrockszene mitmischte und mit der Metzger den Rest der Menschheit mit seinem Sprechgesang beglückte. Noch heute gilt er unter Freunden als der „Erfinder des Sprechgesangs“.
Statt Häuser zu besetzen, probierte sich Metzger in Berlin im „Theater Rote Grütze“ als Schauspieler aus und drehte Dokumentar- und Musikfilme. Vor dem Hintergrund von Brachen und Betonwüsten filmte er frühe Punkbands, oder Musiker, die im Hohlraum eines Stahlträgers unter der Autobahn mit bloßen Fäusten auf leere Benzinfässer eintrommelten und „Sehnsucht“ in die Dunkelheit schrien. Die Szene sollte noch oft gezeigt werden, weil Blixa Bargeld und Andrew Unruh als „Einstürzende Neubauten“ wenig später in die Geschichte eingingen. Metzger hielt damals die Lampe, damit sein Kameramann Rolf Schnieders drehen konnte, während der Verkehr über die Autobahn- brücke in Friedenau donnerte. Später filmte Metzger für den „Rockpalast“ einen Auftritt der Einstürzenden Neubauten im Kreuzberger SO 36. Bei diesem Konzert finden sich die Fässer von der Autobahn plötzlich auf der Bühne. Es wird geflext, geschweißt und schließlich setzt F.M.Einheit sogar den Schlagbohrer an die Wand des SO 36 und bohrt sich einen Weg ins Freie.
Elf Jahre früher, 1971 und lange vor den Neubauten, hatte Metzger drei Songs der Berliner Anarchoband „Ton, Steine, Scherben“ für die Jugendsendung „Jour Fix“ des SDR dokumentiert. Die Band um Rio Reiser wurde im Radio nicht gespielt, weil ihre Konzerte mit Hausbesetzungen einhergingen. Irgendwann saß Rio dann mit seinem Freund Mischa in Metzgers Küche und erwähnte nebenbei, er habe gerade die letzte Rate der Scherbenschulden bezahlt.
Rio Reiser, die Scherben, die Einstürzenden Neubauten, das Theater Rote Grütze, sie alle gehören zum alten West-Berlin. „Wenn die Mauer kam, ist man vorher einfach abgebogen, weil es nicht mehr weiterging.“ Am Schlesischen Tor, gleich hinter dem Kanal war die Grenze. Metzger saß auf dem Balkon und hörte die Hunde der Grenzer bellen. Wenn Bruce Springsteen im Treptower Park, direkt hinter den Grenzanlagen, ein Open-Air-Konzert gab, wurde der Balkon zur Loge. „Wir saßen hier am Arsch der Welt. Da war Schluss, da gab’s nichts mehr. Und heute ist das Mittendrin. West-Berlin war wie ein großes schwäbisches Dorf, findet Metzger.
Auch sonst hat der bekennende Schwabe Metzger eine Menge Gemeinsamkeiten analysiert. Berliner und Schwaben leben auf kargen Böden. „Menschen, die von kargen Böden kommen, wissen, dass man erst arbei- ten muss, bevor es ans verzehren geht.“ Metzger hat viel über sich und die Schwaben nachgedacht. Neben der Musik und dem Filmen gehörte sein Herz immer dem Theater und dem Kabarett. Die Beobachtung, dass der breite schwäbische Dialekt in Berlin eine eigene Komik hat, war der erste Schritt zur Gründung der „Schwaben-Offensive Berlin“. Das gespaltene Verhältnis zur Heimat, die innere Zerrissenheit und ein fataler Hang zur Dialektik bilden das Fundament der Komik der Exil-Schwaben in Berlin. Es war der Schwabe Hegel, der den Berlinern attestierte: „Ein Berliner Witz ist mehr wert als eine schöne Gegend!“
Wie es aber zur Gründung der „Schwaben-Offensive“ wirklich kam, ist eine typische West-Berliner Subventionsgeschichte. Metzger hatte die Idee, in Berlin einen Kongress zu veranstalten, den „Schwäbischen Kosmos“. An einem Samstag sollten sich alle in West-Berlin lebenden Schwaben vor dem Reichstag versammeln, um den Berlinern zu zeigen, wer ihre Stadt eigentlich am Laufen hält. Zugleich sollte der Kongress eine Woche lang tagen und schwäbische Koryphäen aus aller Welt sollten Kurzreferate ihrer Disziplin auf schwäbisch halten.
Und schließlich wäre noch eine schwäbische Theatergruppe aufgetreten. Metzger schrieb ausführliche Exposes und reichte sie beim Senat ein. 1987 feierte Berlin seinen 750sten Geburtstag. Metzger stand in der Buchabteilung des KadeWe, da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter, es war die Sachbearbeiterin aus der zuständigen Senatsabteilung. Sie flüsterte ihm ins Ohr:
„Sie kriegen übrigens 30 000 Mark, ihr Antrag ist durchgegangen!“ Für den Kongress gab es kein Geld, aber für die Theatergruppe. Damit war die „Schwaben-Offensive“ geboren, in diesem Jahr wird sie immer noch aktiv - 20 Jahre alt. Besser hätte der Senat sein Geld nicht anlegen können.
Ende der 90ger Jahre, nach über 40 Dokumentarfilmen fürs Fernsehen und nach unzähligen Auftritten mit der Schwaben-Offensive, geriet Metzger auf einmal in eine Krise. Mit dem elektronischen Zeitalter war das Herumprobieren nicht mehr gefragt. Aufträge wurden spärlicher, zur Sicherheit machte Metzger den Taxischein, in Berlin keine leichte Sache. Mit der neuen Pappe fuhr er fünf Sonntage, dann gab er auf. Fürs Warten war ihm seine Zeit zu schade. Er spürte, dass er künstlerisch arbeiten musste. Er schrieb sich ein neues Solo auf den Leib und reaktivierte mit seiner Partnerin Susanne Scholl die Schwaben-Offensive. Hin und wieder macht er den Stadtführer und zeigt englisch sprechenden Gästen die Schönheiten seiner Stadt.
„Neben der Filmerei, dem Theaterspielen und dem Schreiben ein toller Job, der mich mit Menschen aus aller Welt zusammenbringt!“ erzählt Metzger.
In seinem ersten Soloprogramm „Bomber-Schorsch“, rechnet ein Mann mit seinem Leben ab. Während die bettlägerige Mutter im oberen Stockwerk herrisch nach dem Essen ruft, wirft er Bomben aus dem Fenster. Im wahren Leben nahm Metzger die Dinge nur selten selber in die Hand, er blieb lieber der teilnehmende Beobachter. Noch heute hält er es für sein Glück, dass er, der soviel Exzesse für die Nachwelt festgehalten hat, selber niemals in Extreme abgedriftet ist. Etwa auf harte Drogen kam oder als pietistisch erzogener Schwabe gar zum Terroristen wurde. „Gudrunmäßig“, wie die schwäbische Pfarrerstochter Gudrun Ensslin. Metzger dazu: „ Martin Luther sagt ja, in Gefahr und grosser Not bringt der Mittelweg den Tod!“ . Dazu muss ich sagen: Schön, Herr Luther! Das hat aber auch was für sich!“
Entnommen dem Band: Dorothee Hackenberg: Kreuzberg, keine Atempause.
Berlin Edition im be.bra Verlag GmbH. 2007
Lifeline - so weit, so gut |
1945 |
geboren in Stuttgart. Kindheit und Jugend in Unteraichen. |
1962 |
Abschluss der Realschule |
1962-1965 |
More Miles than Money. Gammeln, Jobs und Reisen durch Skandinavien, England, Griechenland, Türkei, Ägypten, Israel. |
1965-1969 |
Buchhändlerlehre bei Wendelin Niedlich in Stuttgart |
1969-1970 |
Zivildienst im Landeskrankenhaus Weinsberg |
1971-1977 |
TV Redakteur im Jugendprogramm des SDR Stuttgart
Entwicklung der TV-Formate Jour Fix, Diskuss, Teamwörk |
1977-1982 |
Umzug nach Berlin. Mitglied des Jugendtheaters ROTE GRÜTZE; 200 mal "Mensch ich lieb dich doch"; Ausbildung zum Schauspieler |
1976-1984 |
Moderation von mehr als 300 Ausstrahlungen der Musiksendung "ROCKPALAST" im WDR Köln |
1981-2008 |
Autor und Regisseur von Dokumentarfilmen. 36 TV-Filme und mehrere Serien für verschiedene Sender der ARD. |
1988 |
"SCHWABEN-OFFENSIVE Berlin" Gründung und Leitung der Comedy-Gruppe. Autor und Charakterkomiker |
1989-2008 |
Mit 12 Produktionen gastiert die "Schwaben-Offensive" mehr als 2000 Mal. Letzte Vorstellung Anfang 2008 |
1998-1999 |
1. Solo-Programm "BOMBER-SCHORSCH" 118 Vorstellungen |
2002 |
Regiearbeit für Paul Moroccos OLE |
2003 |
Inszenierung "Indien" von Hader/Dorfer im Artenschutz-Theater Berlin |
2004 |
Co-Autor und Regisseur der Komödiantin Emma Rönnebeck |
2005 |
2. Solo-Programm "Sex & Drugs & Rock'n'Roll" |
2007 |
Co-Drehbuchautor von Barbara Teufel "Rio Reiser" |
2008 |
3. Solo-Programm "Spätzle liebt Bulette!" |
2010 |
Internet Radio Vinyl Show: "Knistern und Rauschen" |
2015 |
Programm mit Klaus Sommerfeld: "Rock Heaven" |
2018 |
Radio Show: "Lost and found and lost again" |
2020 |
4. Solo-Programm "Music was my first love" |