Hingerissen bestaunte ich schon als kleiner Junge den eleganten Faltenwurf der Gardinen, die den Dekoladen des Nachbarorts zierten. Nichts hat mich mehr fasziniert als Vorhänge aller Art. Welche Überraschungen verdeckte der bunte Stoff, welche Wunderwelten verbargen sich wohl hinter dem roten Samt? Für meine Tagträume und zum spielen gab es damals viele Orte und Winkel, denn ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und war der Jüngste von sechs Geschwistern. Als ich 12 war ging einer dieser Träume plötzlich in Erfüllung. Im Dorf wurde eine neue Gemeindehalle eingeweiht und bei der großen Feier durfte ich - zusammen mit meinem Schulfreund Balthasar, - als Clown-Duo auftreten. Zum ersten mal erlebte ich die Faszination der Scheinwerfer und der Bühne, zum ersten Mal spürte ich die Energie des großen Beifalls. Auf der Stelle war ich angefixt, das wollte ich wieder haben. Gleich am nächsten Tag bin ich nochmal hingegangen, aber es war niemand mehr da.
Den zweiten Impuls, als einfacher Bub vom Lande, die Nähe zum Theater zu suchen verdanke ich der "Bäckerblume", einem Infoblättchen des Bäckerhandwerks. Dort las ich von der Schauspielerin Isolde Schober, die Jugendlichen Sprechunterricht gab und mit ihnen Theater spielte. Auf einer richtigen Bühne. Sie glaubte fest daran, dass auch schwäbische Buben hochdeutsch lernen können. Ich bewarb mich und wurde tatsächlich angenommen. Um ein ordentliches Bühnendeutsch zu lernen fuhr ich also jeden Donnerstag quer durch den Stuttgarter Talkessel. Die langen Fahrten mit der Strassenbahn nutzte ich zum schauen und zum träumen. Ich war kein guter Schüler und ich verdanke es nur der Geduld dieser Enthusiastin, dass ich nicht aufgegeben habe. Ich durfte sogar bei dem Stück "Robinson soll nicht sterben" mitspielen. Da war ich der dritte Matrose von rechts. Wir spielten im Kammertheater unter dem Dach der Stuttgarter Staatsoper und zum ersten Mal hatte ich diesen infektiösen Geruch des großen Theaters in der Nase, zum ersten Mal durchstreifte ich "backstage" die Wunderwelt des Scheins. Als ich dann in der Realschule Schillers "Lied von der Glocke" vortrug - auf hochdeutsch - hatte ich mein erstes künstlerisches Coming Out. Keiner in der Klasse hat gelacht und mein schöngeistiger Lehrer fands klasse.
Anfang der 60ger Jahre war für junge Leute in Stuttgart nix los. Hätte es das Jugendhaus Ost nicht gegeben, hätten wir uns auch tot übern Zaun hängen können. Der Leiter des Jugendhauses hieß Klaus Basset und ihm verdanke ich meine Rettung aus der Dumpfheit der Ära des Wirtschaftswunders. Basset war gut, er hielt keine Reden, sondern er steckte uns an mit seiner Begeisterung für Jazz, Malerei, Texte und Theater. Er riß uns mit in einen Strudel aufregender Erfahrungen und Entdeckungen, er initierte das Jugendkabarett "Kabaratten" und überredete mich, bei mitzumachen. Wir verstanden uns als politsches Kabarett, das war für diese Zeit neu unter Jugendlichen. Unsere Helden waren die Komiker von der "Lach & Schießgesellschaft" aus München. Sechs Jahre spielten wir recht erfolgreich, dann hatte sich diese Art der öffentlichen Einmischung überlebt.
1968 war da und das Theater suchte nach antiautoritären Ausdrucksformen und ging auf die Strasse. Ich war 23 und die Zeichen standen wieder einmal auf Aufbruch. Josef Achatz und ich erfanden die "ANNA-SHOW", eine anarchistische Zertrümmerung der Formen. Die Show bestand aus Super 8 Filmen, verqueren Texten und "Manic Depression" von Jimi Hendrix in Höchstlautstärke. Keiner verstand uns, nicht mal wir selbst, aber das war auch nicht nötig. Unsere Bühne befand sich im Film-Kunst-Studio auf der Königstrasse in Stuttgart, jeden Samstag nach der letzten Kinovostellung, traten wir auf. Wir und unsere Zuschauer hielten dieses anstrengende Experiment ein halbes Jahr lang durch, dann war uns klar, dass wir noch lauter werden müssen, eine Rockband musste her. Also machte ich die "Hotzenplotz" auf, eine Politrockband der ersten Stunde und der härteren Gangart. Ich war Texter, Manager, Sänger und Kohlebeschaffer, Georg Dietl der musikalische Kopf und H.D. Sumpf der Gitarrist. Ich konnte nicht singen, also sprach ich die wilden Texte und bekam dafür - lange vor Rap und Hip-Hop - das Prädikat "Erfinder des Sprechgesangs"
Dann kam ich Mitte der 70ger Jahre als Redakteur des SDR-Jugendfernsehens mit dem Berliner Kinder-und Jugendtheater "ROTE GRÜTZE" in Berührung und war sofort hingerissen.
Diese Art, Theater zu spielen hatte ich noch nie gesehen. Ich ließ meinen Job und meinen Schreibtisch beim SDR sausen und zog, der Grütze hinterher, nach West-Berlin. Das war 1977, mitten im Deutschen Herbst. Bei der "ROTEN GRÜTZE" lernte ich das Theaterspielen - mit allem was dazugehört. Es war eine harte Schule, denn ich lernte nur mit Hängen und Würgen. Damals erarbeitete die Grütze das Anti-Drogen-Stück "Mensch ich lieb dich doch!", das wir dann über 250 mal vor Schulklassen gespielt haben. Meistens morgens um 10. Danach hatte ich eine ungefähre Vorstellung, wie Theater funktionieren könnte. Ich spielte Rocky, den Sozialarbeiter, eine Rolle, die ich damals selbst recheriert und geschrieben hatte. Selbstverständlich sprach Rocky reinstes Kreuzberger schwäbisch.
Auch in den nächsten 20 Jahren sollte meine schwäbische Herkunft für die Arbeit auf der Bühne bestimmend sein. Ich lebte 1987 in Kreuzberg, im alten West-Berlin und eines Tages wachte ich mit der Idee auf, für die vielen dort lebenden Schwaben einen Heimat-Abend zu machen - auf schwäbisch! Damals ein aberwitziger Gedanke. Zusammen mit Klaus Sommerfeld entwickelte ich das Stück "Komm du bloß hoim!" - ein Abend für Schwaben und Schwabenhasser! Wir hatten das Eiszeitkino in Kreuzberg für 10 Tage gebucht und haben das Stück dann etwa 280 mal in Berlin und Baden-Württemberg gespielt. Damit war die "Schwaben-Offensive Berlin" mit Susanne Scholl und Johann Jakob Wurster geboren. Dieses Spezialunternehmen für schwäbische Tragik und Dieses schwäbische Fachgeschäft für Tragik&Komik beglückte dann 20 Jahre lang eine ganze Generation von Schwaben und mich hat diese Arbeit auf der Bühne zu einem Komiker der stoischen Art gemacht.
Seit 87 habe ich mit Klaus Sommerfeld und Susanne Scholl dreizehn Stücke geschrieben. Drei davon sind Solo-Programme, die ich für mich selbst entwickelt habe und mit denen ich bis heute unterwegs bin. Die aktuelle Show heißt "SPÄTZLE LIEBT BULETTE" und zeigt in einem prallvollen Programm Highlights und die besten Momente aus der zwanzigjährigen Beschäftigung mit dem Witz, der Sprache und den Prägungen meiner Herkunft.