Bizarr, wie einiges in meinem Leben, verlief auch meine berufliche Laufbahn. Im Sommer 1961 brach ich in der 6. Klasse die Realschule ab und ließ diese Phase meines Lebens kurzerhand hinter mir. Es gab einen Plan, der aber prompt in die Hose ging. Seitdem mißtraue ich Plänen. Auf der Suche nach Einkommen verdingte ich mich in einer Großbuchhandlung und sortierte im Keller Schulbücher in die Regale. Ich stieg sogar zum Versand-Gehilfen auf, aber mein Stundenlohn blieb trotzdem im Keller und im August 63 habe ich dann gekündigt. Ich fuhr erstmal mit dem Zug für sechs Wochen in die Türkei. Nur ich und mein Rucksack. Wie es danach weitergehen sollte hatte ich keine Ahnung.
Wieder zurück, hing ich in Stuttgart erstmal im Kreise anderer planloser Existenzen ab. Die rebellierende Jugend wurde damals als "Gammler" beschimpft. Sie hatte sich das süsse Nichtstun und die Verweigerung der bürgerlichen Normen auf die Fahnen geschrieben, Dienstkleidung war die speckige Parka. Irgendwann riß meinem Vater die Geduld; er drohte, mich rauszuschmeissen. Das hätte den Verlust meiner Schlafstätte bedeutet und so übte ich meine Fähigkeit zum Kompromiss und suchte eine Lehrstelle. Die fand ich ohne Mühe bei Wendelin Niedlich in Stuttgart.
Bei ihm eine Lehre machen zu dürfen war ein große Ehre, denn damals war Niedlich der abgefahrenste Buchhändler weit und breit - und ein politischer dazu. Ich war 20 und immer noch ein schüchterner Bub, der zwar wortgewaltige Ge-dichte in seine Hefte schrieb, ansonsten aber ein grottenschlechter Lehrling war. Ich hätte mich längst rausgeschmissen. Ende März 68 war die Lehrzeit zuende und schon einen Tag später trat ich in der Uniklinik Tübingen den Zivildienst an.
Schon kurze Zeit später kam die Strafversetzung in die Psychiatrische Klinik in Weinsberg, in der ich die restlichen 14 Monate meiner Ersatzdienstzeit verbrachte. An meinem Gürtel hing ein mächtiger Schlüsselbund, ich musste auf 40 ausgebrannte Schizophrene aufpassen. Im Ranking dieser Zunft war ich bestimmt der lausigste Irrenhauswärter aller Zeiten.
1971 machte mir Werner Schretzmeier ein Angebot. Das Fernsehen des Südfunks wollte auf die aufmüpfige Jugend mit einer Jugendredaktion reagieren. Schretzmeier sollte die Redakteure suchen, mich hatte er als Konkurrent von der Brettl-Bühne ausgekuckt. Nach einer Ausbildung fragte damals niemand, wichtig war die antiautoritäre Attitüde und der Draht zur aufbegehrenden Jugend. Mit Wolfgang Kiwus, Indulis Bilzenz, Werner Schretzmeier und mir waren wir zu viert und nach einiger Zeit flimmerte unsere erste TV-Reihe über den Schirm. "Jour Fix" hieß das Baby, das bald zum mächtigen Sprachrohr der Jugendzentrumsbewegung werden sollte.
Wir waren ständig im Einsatz. Für mich hieß das jeden Tag "learning by doing" - und ehe ich mich umsah, hatten mir die Kollegen vom Team von der Pike auf das TV-Handwerk beigebracht. Später folgten große Live-Sendungen aus den Zentren, die mit unserer Hilfe erkämpft worden waren. Dann gab mir Schretzmeier eine eigene Sendung. "TEAMWÖRK".Rolf Schnieders und Herbert Schuhmacher waren Pioniere des Video. Sie hatten ihre damals noch gigantische Videoanlage in der Redaktion aufgebaut und uns mit ihrer Vision überzeugt, die Leute sollten ihr Fernsehen in Zukunft selber machen. Mit ihren Kameras und mobilen Recordern ( Japan Standart 1, Open Reel Spulengerät, Halbzoll, s/w) produzierten wir Videoprogramme, die von Schülern selbst gedreht wurden. Das war nicht nur in technischer Hinsicht eine Pioniertat, sondern, wie wir heute wissen, ein erster Schritt zur Demokratisierung des Medium Fernsehen.
Nach diesen Erfahrungen mit der Realität im TV-Medium wagte ich mich an meinen ersten Dokumentarfilm. Das war Neuland für mich, denn ich hatte das Buch zu schreiben, Regie zu führen und mit einer Cutterin das Material, damals noch 16 mm Zellulloid, zu montieren. Die Musik des Films spielte von Anfang an eine große Rolle - und so ist es geblieben. Bis heute sind es über 40 Dokumentar- und Musikfilme geworden. Herausragend sind die exemplarischen Arbeiten mit den "Einstürzenden Neubauten", ein Konzertfilm mit Holger Czukay, ein wildes 45 Minuten Video "1 Punk 36" und ein immer noch fesselndes Portrait über Rio Reiser und Ralph LanRue, die beiden Protagonisten von "Ton Steine Scherben". Musik ist mein Thema geblieben. Dazu kommt die Frage, wieviel Liebe der Mensch braucht und wo er sie herbekommt. Der 5-teilige dokumentarische Essay "Das verlorene Paradies" , für den RBB von Uwe Rosenbaum produziert, sucht auf diese Fragen eine Antwort.
Um mich auf meine Arbeit mit der "Schwaben-Offensive Berlin" zu konzentrieren, habe ich zehn Jahre keine Filme mehr gedreht. 2002 nahm ich dann noch einmal einen Anlauf und es gelang mir eine eindrucksvolle Arbeit über das Thema Kleine Gewalt. "Ein Riß in meiner Haut" heißt der Film, bei dessen Entstehung ich die beruhigende Erfahrung machen durfte, dass man das Filmhandwerk - und das Fahrradfahren - nie verlernt.
Der Film und das Kino ist, neben der Musik, meine Leidenschaft geblieben. Mit Barbara Teufel habe ich am Drehbuch für einem Spielfilm über Rio Reiser gearbeitet und dabei die Entdeckung gemacht, dass die schönste Form der Freiheit darin liegt, ein Drehbuch zu entwickeln, zu schreiben und so die Phantasie sichtbar zu machen und in ein reales Erlebnis zu verwandeln.